Die Mittelstandsvereinigung Breisgau-Hochschwarzwald befasste sich ausführlich in ihrer letzten, gut besuchten Veranstaltung zu dem Thema "Unternehmen als Bürokratieopfer, wie bürokratisch ist Deutschland wirklich?" Die MIT konnte hierzu Herrn Prof. Dr. Volker Witt-berg, dem Leiter des nationalen Zentrums für Bürokratiekostenabbau (NZBA) gewinnen, der seit 2001 den Lehrstuhl für Mittelstandsmanagement innehat an der Fachhochschule des Mittelstandes (FHM) in Bielefeld. Weiter ist er Leiter des FHM-Instituts für den Mittelstand in Lippe (IML), Detmold.
Im Eingang zu dem sehr informativen Referat erläuterte Herr Prof. Dr. Wittberg die Entwick-lung, dass sich auch die Wissenschaft mittlerweile intensiv damit befasst, dass die mittels-tändischen Unternehmen in weiten Bereichen anders belastet sind als Großbetriebe, was zur Gründung von Fachhochschulen des Mittelstandes führte, an denen mittlerweile in Deutschland ca. 2500 Studierende speziell für ihre Tätigkeit im Mittelstand ausgebildet wer-den. Inhaber dieser Bildungseinrichtungen ist die Stiftung Bildung und Handwerk.
Der Referent ging Eingangs sehr deutlich darauf ein, dass Bürokratie nicht grundsätzlich schlecht ist, da sie zu Rechtssicherheit und Planungssicherheit führen kann und veran-schaulichte dies an Negativbeispielen aus den USA, Indien, Costa Rica und China.
Prof. Dr. Wittberg verdeutlichte aber sehr eingehend, dass gerade der Mittelstand unter der stetig anwachsenden Fülle mit gradueller Erhöhung von bürokratischen Lasten leidet sowie an oft sehr kurzfristigen Änderungen, die gerade das Gegenteil von Planungssicherheit auslösen. Anhand einer ausführlichen Studie des NZBA verdeutlichte der Referent die "überproportionale Belastung der mittelständischen Betriebe, da diese im selben Umfange Pflichten zu erfüllen haben wie Großunternehmen" und stellt fest:
"Mittelständische Unternehmen sind allein mit 153 Arbeitgeberpflichten, die kostenlos für den Staat erbracht werden, an der Grenze ihrer perso-nellen und finanziellen Belastbarkeit."
Im Rahmen dieser Studie wurde anhand eines mittelständischen Betriebes in der Metallver-arbeitung mit 100 Arbeitnehmern allein eine Kostenbelastung für die Erfüllung von nur 10 Arbeitgeberpflichten (von 153) mit jährlich € 17.940,00 ermittelt, was in der Studie hochge-rechnet auf alle mittelständischen Betriebe in Deutschland unter 200 Arbeitnehmern insge-samt 3 Milliarden Euro ausmachen. Kern der bürokratischen Vorgaben sind die Erfüllung von Arbeitgeberpflichten, die eigentlich der Staat zu erfüllen hat, die aber ohne jede Kosten-erstattung der Arbeitgeber in Deutschland für den Staat erfüllt.
Prof. Dr. Wittberg erläuterte beispielhaft den Gegensatz zu Frankreich oder Schweiz, in der die Steuerpflicht eines Bürgers ohne Beteiligung des Arbeitgebers abgewickelt wird, wohin-gegen in Deutschland der Arbeitgeber das Inkasso für den Staat übernimmt und für die ab-zuführende Lohnsteuer auch noch die eigene Haftung. Eine Pikanterie am Rande:
"Soweit der Arbeitgeber Kirchensteuer an den Staat abführt, wird diese vom Staat an die Kirchen nicht in gleicher Höhe abgeführt, sondern ab-züglich einer Inkassogebühr."
Die mittelständischen Betriebe sind in Deutschland der größte Arbeitgeber und der größte gewerbliche Steuerzahler. Die Gefahr, die durch die ständige und graduelle Erhöhung der bürokratischen Anforderungen an den Mittelstand zu realer Gefahr für Arbeitsplätze werden verdeutlichte Prof. Dr. Wittberg an der Metapher vom "gekochten Frosch":
"Wenn man einen Frosch in kochendes Wasser wirft, wird er sofort zu-rückspringen und alles versuchen um diesem Inferno zu entgehen. Wird er in kaltes Wasser geworfen und dieses langsam aber stetig erhitzt, wird er immer gelähmter und stirbt schließlich."
Prof. Dr. Wittberg erläuterte sodann, dass ein erster und wichtiger Schritt im Interesse des Mittelstandes auf Bundesebene die Einrichtung des Normenkontrollrates war. Dieser Nor-menkontrollrat ist beteiligt bei der Gesetzgebung und analysiert die Kostenbelastungen, die aus Gesetzesvorhaben gerade für mittelständische Unternehmen folgen. Prof. Dr. Wittberg erläuterte, dass diese Einrichtung ein wichtiger Schritt in der Wahrnehmung der tatsächli-chen wirtschaftlichen Situation des Mittelstandes ist und verdeutlichte:
"Bis dahin erfuhr die Politik nur die Realität der Großunternehmen und deren Interessen, nicht aber die des Mittelstandes."
Bezogen auf Baden-Württemberg kritisierte Prof. Dr. Wittberg die strikte Weigerung der Grün/Roten Landesregierung, einen solchen Normenkontrollrat auch auf Landesebene in Baden-Württemberg einzurichten und in die Landesgesetzgebung einzubinden.
Prof. Dr. Wittberg schloss sein Referat mit dem Aufruf an die Mittelständler, die Politik nicht aus ihrer Verantwortung für Millionen von Arbeitsplätzen im Mittelstand zu entlassen.
Norbert Müller
Pressesprecher